Wenn in Unternehmen mit eher viel bürokratischem Flair etwas Neuartiges passieren soll, schreien viele MitarbeiterInnen danach, dass für jeden erdenklichen Sonderfall definiert werden sollte, welche Rechte und Pflichten gelten. Es ist verständlich, dass in komplexem Terrain nach Stützen gesucht wird, um möglichst viel richtig zu machen.
Und sich neu aufeinander einzustellen, auf Rollenänderungen oder Ablaufänderungen, ist so komplex wie Kloßbrühe hoffentlich klar ist.
Wenn Papa einen neuen Job hat, ändert sich etwas am Ablauf. Wenn ein Kind in der Lage und willens ist zu kochen, ändert sich etwas am Ablauf und an den Rollen. Wenn Mama anfängt, darüber zu sinnieren, wie sich Änderungen auf Rollen oder Abläufe auswirken, ändern sich Rollen und Abläufe. (Das war jetzt ganz schön deep.)
Wenn wir eiserne Regeln haben, um unsere Alltagsbereiche zu managen, kann das z.B. so aussehen:
Die Steckdosen benutzen nur die Eltern.
19:30 ist Schlafenszeit.
Wenn es draußen kälter als 10°C ist, muss vor dem Verlassen des Hauses eine Mütze angezogen werden.
Spätestens zum Frühstück wird der Schlafanzug ausgezogen.
Im Bett wird nicht gesungen.
Allen ist gemeinsam, dass sie etwas sehr Spezifisches betreffen, und eine Menge Fragen aufwerfen.
Wie genau sollen die Regeln denn sein?
Eine große Genauigkeit kann schnell ad absurdum führen:
19:32 ist Schlafenszeit.
Im Bett wird alles, nur bitte nicht Bohemian Rhapsody gesungen.
Es sollte außerdem klar sein, dass eine Regel ohne Nachverfolgung keine Regel ist, sondern nur ein richtig doofer Spruch.
Wie streng gestalten wir dann die Kontrolle und die Konsequenzen?
Im Grunde ist ja niemand schuld, wenn ein Kind sogar um 19:34 noch nicht schläfrig ist. Richtig konsequente Eltern müssten mit intravenösen Schlafmitteln arbeiten. In jedem Falle wird es für die eigene Glaubwürdigkeit wichtig werden, dass alle Uhren genau gestellt sind.
Und was auch immer „gefühlte Temperaturen“ sind, kann einem bei sommerlichen 10°C, wie 2024 gefühlt an jedem Januartag, mit Mütze so richtig die Suppe runterlaufen. Mütze antackern? Und 10°C im Schatten, 3m von der Hauswand entfernt oder doch eher 2,5m?
Woran koppeln wir, ob eine Ausnahme gemacht wird?
Die Steckdosen benutzen nur die Eltern, es sei denn, das Kind ist volljährig.
Wenn es Champagner-Frühstück im Bett gibt, darf der Pyjama angelassen werden.
19:30 wird geschlafen, außer es ist Besuch, Geburtstag, Krankheit, Ausflug, ungewöhnlicher Mittagschlaf, ich hab zu spät gekocht…
Ja warum denn dann überhaupt fürs Schlafengehen eine Regel aufstellen?
MitarbeiterInnen in Unternehmen, die sich nach Halt in einem veränderungsreichen Umfeld sehnen, rate ich dazu, sich von überflüssigen Regeln zu verabschieden, und stattdessen Prinzipien zu befolgen.
Prinzipien sind allgemeiner gefasste Richtlinien, die bei Ungewissheit wie Wegweiser dienen können.
Ein mögliches, zugrunde liegendes Prinzip, mit dem Regeln zur Schlafenszeit oder zum Mützetragen getrost fallen gelassen werden könnten, lautet:
Wir achten selbst und gegenseitig auf unsere Körpersignale. (Dazu würde z.B. auch Appetit/Sättigung zählen oder Nähe/Distanz.)
Davon brauchen wir offenbar weniger als Regeln, das macht uns das Leben als Wachhunde oder Höllenhunde schon wesentlich einfacher. Außerdem richten sie unser Handeln an einem Ideal aus, so dass sich je nach Situation die geeigneten Optionen zwar unterscheiden könnten, aber etwas viel Grundlegenderes etabliert wird: Kultur.
Für Arbeitsteams und Familien lohnt es sich also, solche Prinzipien zu definieren.
Hauptsache, sie tragen zu einem guten Leben bei und widersprechen sich kaum.
Manchmal können Regeln notwendig sein, aber das ist eine andere Geschichte.
Im Prinzip lässt sich alles Regeln, Dadjoke-Alarm…