Heute ist ein x-beliebiger Tag, an dem ich das Essen ganz exakt so zubereitet habe wie auch an anderen Tagen, also natürlich nicht nur mit Luft, sondern mit Liebe. Warum auch immer ist es aber heute nicht eklig, sondern wird von den Kindern inhaliert. Das ist ein Thema für sich, an dessen Aufklärung ich sehr interessiert wäre.
Wie dem auch sei, das Abendessen beginnt mit meinem fatalen Fehler zu fragen, wieviel auf den Teller soll. Natürlich so viel wie ein Berg, bis zum Himmel. Da ich es wichtig finde, dass die Kinder einen gesunden Bezug zu ihrem Körperempfinden beibehalten, muss der Teller nicht aus Prinzip leer werden.
Was befürchte ich hier also?
- Es wird ein viel zu großes Ergebnis auf einmal angestrebt. Die „Gesamtsättigung“ in einem Schwung. Die schiere Menge an Arbeit ist auf einen Blick sichtbar und könnte demotivieren, konzentriert dabeizubleiben, anstatt Nudeln im Wasserglas zu versenken oder zwischendurch spielen zu wollen. Ich werde also vermehrt ermahnen und motivieren müssen, am Tisch zu bleiben.
- Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass da Einiges übrig bleibt. Abfall, Waste, oder in der Sprache des Lean Managements „Muda“ (jap. 無駄“Überflüssiges“). Muda kostet: Nerven, verschwendetes Geld für die unnötig produzierte Menge, Zeit zum Wegsortieren, zusätzlichen Platz im Müll, und dabei wollen wir unserem Planeten Müll ersparen. In diesem Falle gibt es den nicht nur seelischen, sondern auch hungrigen Mülleimer Mama, aber das ist keine nachhaltige Lösung für bessere Gewohnheiten oder meine Figur.
Das sind Alltäglichkeiten aus dem wahren Leben.
Im „echten Leben“, von dem manche Menschen gern sprechen, ist es aber nicht anders.
Es wird ein Ziel gesetzt, das in drei Jahren erreicht werden soll, und riesige Arbeitspakete dazu geschnürt, von denen man nicht weiß, ob sie nach Abarbeitung überhaupt das Ziel erfüllen, es verfehlen, oder einfach drüber hinausschießen.
Es geht Motivation und Energie drauf, dafür zu sorgen, dass alle den Plan gut befolgen, die täglich spürbaren Fortschritte sind aber zu klein im Vergleich zu dem Riesenberg, um wirklich Erfolgserlebnisse zu haben.
Und als Muda entstehen zusätzliche Kontrollmechanismen, überproduzierte oder fehlproduzierte Dinge, Entsorgungen und andere Unnötigkeiten.
Also erst mal zurückspulen.
Ich frage nicht nach Wunschmengen, sondern zeige den Kindern beim Auftischen, dass wirklich genug da ist für einen Nachschlag, und gebe ihnen erst mal eine kleinere Portion auf den Teller. Ich plane also ein kleines Häppchen vom gewünschten Ergebnis, das bestimmt nicht überfordert, nach genug aussieht und gern abgearbeitet wird. Ich weiß, dass es wahrscheinlich nicht für das Gesamtziel reicht, aber die nächste Runde kommt bestimmt. So etwas heißt in der agilen Produktentwicklung „Iteration“ – ein immer gleicher, definierter Zeitrahmen (Teller), in dem ein überschaubares Teilziel geplant wird, nach dem geschaut wird, welche Anpassungen in der nächsten Iteration fällig sind. So lange, bis das Gesamtziel erreicht ist.
Als kleiner Nerd erfreue ich mich insgeheim daran, dass ein agiles Prinzip so gut im Alltag anwendbar ist.
Aber warum auch nicht, modernes Management besteht oft aus gesundem Menschenverstand getarnt in Fachbegriffen 🙂
Guten Appetit!