Niemand, wirklich niemand hat ein gutes Gefühl dabei, wenn jemand sagt, „hey ich bin deine Micromanager-Chefin und werde dir möglichst kleinteilig Anweisungen geben, und die genaue Einhaltung möglichst häufig kontrollieren“. Außer vielleicht, wenn wir als komplette Neulinge dankbar für ein zweites Augenpaar sind und z.B. für Menschenleben verantwortlich sind. Ansonsten: Willkommen in der Welt von Theory X.
Wir wollen in der Einzigartigkeit unserer Fähigkeiten und Bedürfnisse gesehen werden.
Wir wollen ohne Angst lernen und unseren Beitrag leisten.
Wir wollen nicht unterschätzt, sondern wertgeschätzt werden.
Und falls wir ein Problem haben, wollen wir ohne zu viel Gesichtsverlust oder Angst vor Ablehnung Hilfe anfordern können. Sofern wir aber andauernd unterschätzt werden, bei Kontrollen für Fehler bestraft werden, und unsere Eigenheiten egal sind, ist es unwahrscheinlich, dass wir uns mit einem Hilferuf gut aufgehoben fühlen.
Und unsere Kinder?
Was, wenn wir noch so viel unreflektierter wären, uns nur bestenfalls verbal ausdrücken könnten, liebevolle Verbindung uns fast tastbar durchfluten und Ablehnung sich ein bisschen wie sterben anfühlen würde? Wenn jede Führungserfahrung, die wir machen, sich in unser Gehirn eingraviert wie ein kleiner Luchspfad in einen Wald, der immer und immer breiter wird, bis er zum markierten Wanderweg wird?
Dann wären wir erst recht darauf angewiesen, dass wir nicht für Fehler getadelt werden, sondern zur Lösung animiert werden, falls wir überfordert sind, auch mit Hilfestellung. Wir würden lieber eine Tätigkeit komplett zu Ende ausführen, ohne uns bei jedem Handgriff und jedem Atemzug unsicher fühlen zu müssen, ob das jetzt so richtig ist, oder ob gleich wieder getadelt oder korrigiert wird.
Wenn wir hingegen schon früh erfahren, dass Führung gleich engmaschige Kontrolle bedeutet, ist es kaum verwunderlich, dass wir das bisschen, was wir selbst in der Hand haben, möglichst kontrollieren wollen. Das könnte auch auf die eingangs genannte Chefin zutreffen. Vielleicht ist das ihr Verständnis von Führung, vielleicht versucht sie in ihrer kleinen Insel der Gestaltungsfreiheit Sicherheit durch Kontrolle zu erleben, vielleicht ist sie in einem Moment der Unreflektiertheit in eingravierte Muster zurückgefallen.
„Stell deinen Becher etwas weiter weg vom Rand.“
„Iss erst die Karotten, dann die Kroketten.“
„Ach, da ist es passiert, deine Gabel ist am Griff dreckig geworden.“
„Jetzt pack mit der Tomatenhand nicht noch dein T-Shirt an.“
„Mach die Hände zuerst nass und nimm dann von der Seife, sonst schäumt das nicht.“
Diese Abfolge an Herummäkelei schaffe ich ohne Reflektion in unter 2 Minuten.
Den Pace hatte noch nicht mal mein Toilettengang-kontrollierender Chef drauf, Hut ab.
Ja, aber irgendwie müssen wir doch dafür sorgen, dass unsere Kinder/Mitarbeiter sich „richtig“ verhalten?
Wie immer gibt es die Möglichkeit, kurzfristige oder langfristige Erfolge anzupeilen.
Kurzfristig heißt, dieses T-Shirt bleibt heute von Flecken verschont. Falls meine Tochter überhaupt noch zuhört bei all der Schimpferei, kann ich dieses Ziel auf jeden Fall erreichen – dabei geht es mir eigentlich im Großen und Ganzen gar nicht um das T-Shirt.
Langfristig heißt, selbst wenn ich nicht da bin und niemand schaut, achtet meine Tochter darauf, was sie berührt hat oder wie sie sich bewegt. Viel habe ich hier nicht gewonnen, wenn meine Tochter in Abwehrhaltung gegenüber Anweisungen geht, oder darauf vertraut, dass ich als externes Entscheidungsorgan ihr immer sage, wann etwas falsch ist.
„Leading by Example“, das Vorleben von erwünschten Verhaltensweisen, ist eine sehr langfristig angelegte Strategie des heutigen Führungsverständnisses, besser gesagt des gesunden Menschenverstands. Leicht gesagt, denn hierfür braucht man Geduld, so unendlich viel Geduld. Letztendlich wird aber doch nur das nachgeahmt, was wir tun, und nicht was wir sagen.
In der Zwischenzeit ändert sich nichts daran, dass immer noch wir schlussendlich verantwortlich sind für das Resultat, auch wenn in erster Instanz unsere Kinder oder MitarbeiterInnen etwas verbockt haben.
Also müssen wir selbst dafür sorgen, dass der Rahmen, innerhalb dessen sich Kinder oder Mitarbeiter bewegen, so geartet ist, dass wir eben nicht so oft eingreifen müssen, oder ein Fehltritt nicht zu schwer wiegt.
Möglicherweise könnte ich also statt meiner Tirade Folgendes tun:
Einen unzerbrechlichen Becher anbieten und einen vorsorglichen Putzlappen.
Einfach zu Beginn Karotten servieren, und Kroketten erst nach 5 Minuten.
Dem Kind ein Lätzchen anziehen oder die Kleidung ausziehen und anschließend baden (bei Hitze ein Highlight).
Einen schäumenden (und nebenher Seife sparenden) Seifenspender aufstellen, oder einfach mit dem Waschresultat leben.
Und vorleben, vorleben, vorleben…vielleicht ab und an das Kind auch durch „Selbstgespräche“ aktiver an meinem Handeln teilhaben lassen.
Ein ehemaliger Teamleiter (nicht der Toilettenkontrolleur) reagierte mal auf meinen Rechenfehler, der dem Kunden schon übermittelt worden war, und nebenher für den Kunden einen Unterschied von einigen Euros bedeutete, so:
„Ist es schlimm?“ (ja, 2. Nachkommastelle)
„OK. Setz dich hin. Wir rufen den Kunden an.“ (OMG)
Und dann, am Telefon, fiel mir fast die Kinnlade herunter:
„Hallo Max Mustermann, ich rufe Sie an, weil ich einen Rechenfehler gemacht habe. Wie können wir vorgehen?“
So viel zu Verantwortung übernehmen. Dass seine mittlerweile jugendlichen Kinder ihre Sorgen, Nöte und auch Freuden immer noch mit den Eltern teilen, macht Mut – oder?