Unsere Körpergröße, wie viele Tüten wir zum Einkauf brauchen, ob unser Koffer mit in den Flieger darf – haben jeweils eine unmittelbar verknüpfbare physikalische Einheit und Messgeräte, die wir sehen und anfassen können.
Es gibt aber auch Messeinheiten, die als Vertreter eingeführt werden für diffusere Kenngrößen.
Man kann Qualität oder Sicherheit nicht unmittelbar sehen. Man kann aber sehr wohl zählen, wie viele Tests ein Produkt besteht, wie viele Produktanforderungen umgesetzt wurden oder ob die Entwicklung einem Prozess folgt.
Man kann Sprachbegabung nicht mit dem Lineal messen. Man kann aber sehr wohl Rechtschreibfehler in einem Aufsatz zählen, die Anzahl der Fehler in 6 Kategorien einteilen und diese in ein Zeugnis eintragen.
Während das Interesse an der ursprünglichen Sache verständlich und manchmal sogar enorm wichtig ist, wird es problematisch, wenn das Bewusstsein dafür schwindet, dass die Messgröße nicht das eigentliche Ziel ist. Qualität ist sicherlich nicht, wenn das Tracken von bestandenen Tests zum Selbstzweck wird und ein aufwendiges Projektcontrolling grüne Ampeln zeigt, obwohl Kunden sich beschweren, dass das Produkt gar nicht funktioniert.
Im Schulleben und darüber hinaus wird ein „befriedigend“ auf einem Blatt Papier das Maß der Dinge, wie Menschen über unsere Kinder denken und sprechen. Oft wissen wir doch, dass sie leidenschaftlich gern komplexe Bücher lesen, oder dass sie verzückt mit Zahlen und Mustern spielen, oder Heftränder und Anrufblöcke mit filigranen Zeichnungen vollkritzeln.
Die 3 in einer Klausur macht ein Kind nicht dümmer, unkreativer oder untalentierter als vor der Klausur. Und das sind die Dinge, die mit Noten ursprünglich gemessen werden wollen, das sind die Dinge, die wirklich zählen.
Diskrepanzen zwischen dem messbaren Vertreter und der unquantifizierbaren Ursprungsgröße lassen sich nicht vermeiden. Die Noten und das Projektcontrolling sind nicht per se böse, solange wir einen klaren Blick behalten, ob ihre Aussagekraft zur Realität passt. (Dass Noten noch andere Auswirkungen haben, ist ein anderes Thema.)
Ich muss an meinen Mitschüler F. denken, dessen Zeugnisse immer im Mittelfeld lagen, der betrunken aus allen Winkeln Basketballkörbe werfen und vom leeren Blatt hervorragende literarische Abhandlungen „vorlesen“ konnte. Kein guter Schüler, aber genial.
Wir können diese Diskrepanz aber aktiver wahrnehmen um uns der Sache von zwei Seiten zu nähern:
- Kann die vertretende Messgröße passender gewählt werden? Kann eine grüne Ampel im Controlling durch andere Aspekte wie z.B. Kundenzufriedenheit zustande kommen? Können Noten anders vergeben oder interpretiert werden?
- Kann die Ursprungsgröße sich der Messgröße besser anpassen? Kann ein Kind durch Konzentrationsübungen oder eine bessere Prüfungsumgebung sein eigentliches Können besser abrufen? Kann das Produkt wichtige Tests durch andere Funktionen besser bestehen?
Messergebnisse mit der Realität zu verwechseln, ist eine Falle, die zu viel Frust führen kann: Wer viel misst, misst oft viel Mist – wenn man vergisst, was es ist. Bevor noch mehr peinliche Reime folgen, belasse ich es dabei.