Sonne Wolken Haus, Gras Marienkäfer Blume

Kennt nicht jeder dieses Bild von Kindergartenkindern?

Niemand würde Picasso heutzutage eine 6 in Kunst geben oder Kandinsky sagen, er solle mal mehr als nur Kreise und Vierecke malen.

Und doch steckt es so tief in unseren Köpfen.

Ich sehe: rotes Gekringel.

Ich frage: „Was hast du gemalt?“

Die Dreijährige: „Gras, Mama!“

Aber Gras ist doch grün und ungekringelt!

Andy Warhol lässt grüßen. Marilyn Monroe war wahrscheinlich auch nicht gelb oder blau, zu genau kann ich es aber nicht wissen.

Wir haben ganz spezifische Vorstellungen davon, nicht nur „was“ gemacht werden soll, sondern genau „wie“.

Und damit sind wir mitten in einem Dilemma, das im modernen Management gezielt entzerrt wird: Es geht um die bewusste Trennung zwischen Bedürfnissen und Lösungen. Im sogenannten Design Thinking durch zwei Rauten dargestellt, in agilen Teams durch die Rollentrennung von „Product Owners“ (Bedürfnis-Klärer) und „Knowledge Workers“ (Lösungs-Stifter).

Was soll das und warum soll das?

Bedürfnisse spiegeln das Ziel hinterm Ziel wider, das Auftraggebende (gern auch Eltern oder ErzieherInnen) haben. Diese spannen den sogenannten Problemraum auf, wo das Bewusstsein dafür geschärft wird, „was“ eigentlich zu lösen ist.

Zu spezifische Vorstellungen, welche Handgriffe genau erfolgen sollen und wie genau die Lösung dafür aussehen soll, fallen schnell unter demotivierendes Mikromanagement. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass kein Feedback erfolgen darf. Aber welche Art von Feedback besonders wertvoll ist, ist ein anderes Thema.

Lösungen sind Ideen, wie diese Bedürfnisse gestillt werden. Zuständig sind ExpertInnen (gern auch Wachsmal-Profis). Diese bilden naheliegend den sogenannten Lösungsraum, aus dem dann ein „wie“ ausgewählt werden kann, um das „was“ zu lösen.

Anstatt exakte Vorgaben abzuhaken, sollen sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzen, um ein kommuniziertes Anliegen zu erfüllen. Die Freiheit von Anweisungen führt oft zum durchaus wünschenswerten Flow-Zustand, in dem die Zeit vergessen wird und das Gehirn kreativ arbeitet. Und es springen bisweilen Ideen heraus, die die AuftraggeberInnen sich nicht erträumt hätten.

Anschaulich für den Sinn dieser Trennung ist das Beispiel von Henry Ford, der einst im Wortsinn sagte: „Wenn man die Menschen gefragt hätte, was sie brauchen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.“

Das Ziel hinterm Ziel war eine schnellere Fortbewegung, nicht unbedingt ein Amphetamin-Pferd.

Eine hufenlose Kutsche mit Motor hat sich hierbei niemand erträumt.

Was erhoffen wir Erwachsenen uns denn beispielsweise vom Malen?

  • Auf der lila Wolke wünschen wir den Kleinen, dass sie sich kreativ austoben können.
  • Zwischen Wäscheberg und Telefonkonferenz wünschen wir uns, dass sie sich ruhig beschäftigen.
  • Auf der Zielgeraden in das Leben als Wunderkinder hoffen wir, dass sie die Stiftführung verinnerlichen.

Das „wie“, also dass phasenweise nur Kringel oder Punkte gemalt werden, oder Fische mit Haaren und langen Beinen (ein aktueller Favorit der Dreijährigen), widerspricht keinem dieser Ziele.

Wenn ich innerlich Einwände habe, „weil die gleichaltrige K. schon richtig Menschen mit Gesichtern malt“, ist das eher meine eigene Baustelle.

Das Geben und Nehmen von Verantwortung liegt in der Macht der Obrigkeit, egal ob als Eltern oder als Vorgesetzte. Es ist ohne Zweifel ein Drahtseilakt. Und jedes Mal, wenn wir etwas abgeben, um das wir uns nicht kümmern können oder wollen, oder um das sich ein Kind oder Teammitglied reißt, müssen wir uns fragen:

Was genau ist hier mein eigenes Anliegen, das Ziel hinterm Ziel?

Der Kollege soll eine für Laien verständliche Zusammenfassung eines Fachtextes verfassen. Schriftart und Layout hätte ich anders gemacht. Ertrage ich die Andersartigkeit?

Das Kind soll sich selbst anziehen, um bekleidet das Haus zu verlassen. Was ist denn das Schlimmste, was passiert, wenn es zusätzlich zum Kleid zwei Röcke übereinander trägt? Lasse ich mich eigentlich nur davon leiten, was dieser ominöse „man“ macht?

Manchmal hilft es, einen Schritt zurückzutreten und sich mal ernsthaft zu fragen – worum geht es mir gerade wirklich?

Heute wollte meine Ältere, dass ich ihr beim Kringel-Malen zuschaue. Schon wieder rotes Gras, denke ich mir.

Mit leuchtenden Augen führt sie den Stift, mal langsam, mal schneller, mal mit großem Gekicher und mal mit Ehrfurcht. Denn gemalt wurde „eine Fahrt auf der tollsten Zauberrutsche der Welt“, die sich genauso verhält, wie man es sich genau jetzt wünscht.

Im Übrigen profitieren auch andere Beziehungen davon, dass man sich nicht sofort in einen Lösungskonflikt begibt, sondern zuerst Bedürfnisse klärt.

La vie en lila Wolke!

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